Lichtspiel Venedig

Ganz gleich ob ich mit Fotoworkshops im bayerischen Voralpenland, an der Ostseeküste oder auf Fotoreisen zwischen hier und da unterwegs bin – die Lagunenstadt Venedig schient über eine gewisse Omnipräsenz unter Fotointeressierten zu verfügen. Es vergehen nur selten Pausengespräche, in denen sie nicht ihren Platz findet. Daher, ein kurzer Ausflug in die Lagune…

VENEDIG – wohl kaum eine andere Stadt, versammelt so viele historische Fassaden, die durch enge verwinkelte Gassen und Kanäle zu entdecken sind. Doch was genau macht den fotografischen Reiz dieser Stadt aus? Sind es ‚nur‘ die Fassaden? Der US-amerikanische Fotograf und Mitbegründer der Gruppe f/64 Edward Weston (1886 – 1958) bemerkte, dass man gar nicht oft genug betonen kann, dass reflektiertes Licht das eigentliche Motiv des Fotografen ist.

Eine mögliche Erklärung, was die Stadtszenen Venedigs zu Besonderen macht, benennet der französische Autor Philippe Piguet. In seinem Buch „Die Geschichte einer Reise“ zitiert er Claude Monet: „Venedig – Wasser, Steine und Licht. Eine Stadt, in der selbst der Himmel bunt ist! Sie scheint ein Trugbild einer Fata Morgana, die sich mit leuchtenden Farbtönen aus der Adria erhebt.“

Gewiss ist, dass die Fassaden der Palazzi, Kirchen und Klöster bereits seit dem 17. Jahrhundert Maler anziehen. Angefangen bei Canaletto bot die Serenissima beeindruckende Kulissen. Im Routenverlauf der Grand Tour, der Kavaliersreise besuchten Adelige, Gelehrte wie Künstler das venezianische Treiben. Maler geben sie mit jedem Pinselstrich farb- und konturengetreu in klaren Formen wieder. Während spätere Generationen Bildschaffender romantisieren oder dem Farbrausch des Impressionismus freien Lauf lassen.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts folgten die ersten Fotografen: Carlo Naya, Domenico Bresolin oder Giuseppe Cimetta, Antonio Perini und weitere. Sie widmen sich mit ihren Plattenkameras, die nicht selten ein Aufnahmeformat von 70 × 50 cm erreichen, den venezianischen Veduten. Einen Blick auf Bilder aus dieser Zeit bietet beispielsweise die „Digitale Sammlung“ (z.B. Italien vor Augen) des Städel Museum in Frankfurt am Main. Um 1860 allerdings breitete sich Unmut unter den Fotografen aus. Zusehends etablierten sich kleinere Bildformate am Markt. Carlo Naya äußerte sein Bedauern dahingehend, dass die Zeit der detailreichen Fotografie ein Ende findet mit den ‚kleineren‘ Aufnahmeformaten (z.B. 8 × 10 inch). Sie und Generationen nach ihnen, wurden und werden von dem Licht, in welchem die Stadt sich aus der Adria erhebt in ihren Bann gezogen.

Zurück in die Gegenwart: Venedig wurde zwischenzeitlich in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen und ist mit seinem historischen Altstadtkern ein beliebtes Ausflugsziel. Während die touristischen Massen gemütlich durch die Gassen schlendern oder das städtische Treiben aus der Gondel beobachten, suchen andere gezielt nach fotografischen Perspektiven und Blickwinkeln.

Motive – dass wissen wir, bietet die Stadt über das ganze Jahr. Fotografisch allerdings, ist der Herbst die interessanteste Reisezeit: Das grelle Licht des Sommers weicht den warmen Farben des Herbstes. Mit etwas Glück ist die Lagune in den Morgenstunden in Nebelschwaden gehüllt. Acqua alta überflutet zahlreiche Campi und Gassen im Gezeitenverlauf über die Gullideckel, hier bieten sich die Tage um Vollmond an.

Als Herzstück Venedigs gilt die ‚Piazza San Marco‘ mit ihrem imposanten Blick auf die reich verzierte Fassade der ‚Basilica di San Marco‘ und ihre mächtigen Dachkuppeln. Ebenfalls eine beindruckende Kulisse bieten die Fassaden der ‚Procuratie Vecchie‘ mit ihren Arkaden. Ebenso der ‚Uhrenturm‘ auf der Nord- und den ‚Campanile‘ auf der Südseite des Platzes. Zwischen Campanile und Basilika führt der Weg von der Piazza hinüber zum ‚Dogenpalast‘ auf die Piazzetta und weiter an den ‚Canal Grande‘.

An der Piazzetta schließen sich die sanft in den Wellen wippenden Gondeln mit Blick auf die ‚Basilica San Giorgio Maggiore‘ an. Ein Stück weiter links von der ‚Ponte della Paglia‘ reicht Ihr Blick auf die ‚Ponte dei Sospiri‘, bekannt als ‚Seufzerbrücke‘. Ein ganzes Stück weiter rechts auf der Piazzetta in Richtung des Anlegers ‚San Marco Giardinetti‘ reicht der Blick zwischen den Liegeplätzen der Gondeln hinüber zur ‚Basilica di Santa Maria della Salute‘.

Allesamt Motive, die aus fotografischer Sicht als „Hotspot“ oder auch „Must-have“ gelten. Auch wenn sie zwischenzeitlich sprichwörtlich totfotografiert wurden, dürfen sie im Verlauf einer fotografisch ambitionierten Annährung an diese Stadt nicht fehlen.

Eine der zahlreichen fotografischen Herausforderungen sind die Menschenmengen, die sich durch die Gassen und über die Plätze bewegen. Um diesen aus dem Weg zu gehen, bieten sich die frühen Morgenstunden (2h vor Sonnenaufgang) an, gerade wenn es zur Piazza San Marco und der angrenzenden Piazzetta geht. Ebenfalls interessant sind die Stunden nach dem Abendessen. Unter der Woche sind die Gassen und Plätze nach 23 Uhr ebenfalls fast menschenleer.

Ein Lob an die Technik bzw. Weiterentwicklung der Kamerasysteme: leicht und handlich lassen sich unserer Tage, die leistungsfähigen Fotoausrüstungen komfortabel in den engen, verwinkelten Gassen nutzen. Persönlich verzichte ich bei dem Getümmel tagsüber auf mein Stativ. Die Wegstrecken zwischen den einzelnen Spots lassen sich häufig bequem mit dem Vaporetto verkürzen.

Auf Streifzügen abseits des fotografischen Mainstreams lassen sich auf der Insel San Marco wie auch auf den anderen Inseln, Details und Nebensächlichkeiten, die im Alltagstrubel eher ungesehen bleiben oder nur flüchtig wahrgenommen werden, entdecken.

Ungeachtet der Welt der Farben, verzichtet man gezielt auf dieses Gestaltungsmittel, bieten die historischen Fassaden auch heute noch eine breite Motivpalette für die S/W-Entwicklung. Sie bestechen durch Formenvielfalt, Hell-Dunkel-Kontraste wie auch Linien und Flächen. Einen inspirierenden Vorgeschmack bieten die Bildbände von Günter Derleth, Peter Gasser, Peter Knaup (†) und allen voran Christopher Thomas.

Sicherlich – Venedig wird in unserer Zeit tagtäglich von Touristenströmen überrannt. Und dennoch sehne ich mich, beizeiten wieder in diese Stadt einzutauchen. Wie recht Claude Monet bei seinem Besuch im Jahr 1909 doch behalten sollte: „Man kann nicht aus Venedig abreisen, ohne wiederkehren zu wollen.“

 

P.S.: Einen Blick auf die Fotoreise „Venedig in S/W“ mit artistravel aus dem Herbst 2022, gibt es hier im Blog oder bei kwerfeldein unter dem Titel „La Serenissima farblos im Herbstlicht„.